Aus Sorge um seine verschwundene Tochter greift ein 48-Jähriger zur Selbstjustiz. Da er den Partner der jungen Frau verdächtigt, kommt es zu Gewalt und sogar zu einer Morddrohung. So endet das Familiendrama vor Gericht.
Bad Aibling – Die heute 17-jährige Tochter des 48-jährigen Schichtleiters aus Bad Aibling war im Oktober 2023 nach einem Streit mit der Mutter aus der gemeinsamen Wohnung weggelaufen. Gemäß der Anklage hatte der Vater, der sich mit einem Kleinbus auf die Suche nach ihr machte, die junge Frau bei ihrem Freund vermutet und diesen zur Rede gestellt. Als dieser jedoch erklärt hatte, den Aufenthaltsort der Frau nicht zu kennen, habe ihm der Vater etliche Schläge auf Kopf und Nacken verpasst und ihn anschließend in sein Fahrzeug gezerrt. Was die Staatsanwaltschaft später als Geiselnahme und Körperverletzung anklagte.
Demnach habe der 48-jährige Bad Aiblinger den vermeintlichen Entführer seiner Tochter anschließend zu dessen Familie gebracht, um seinem Vater wiederum mit Worten und Gesten zu erklären, dass er den Sohn töten werde, sofern sich dieser noch einmal mit seiner Tochter trifft. Dabei soll sogar von einer sogenannten „Ehrenmord“-Absicht die Rede gewesen sein. Diese Problematik soll jedoch alsbald ausgeräumt worden sein.
Angeklagter bestreitet Vorwürfe
Vor Gericht bestritt der Angeklagte nun jedoch jede Entführungsabsicht, der vermeintlich Entführte sei freiwillig in das Fahrzeug gestiegen und habe ohnehin geäußert, dass zwischen den Beiden “Redebedarf“ herrsche. Auch seien seine Äußerungen gegenüber dem Vater missverstanden worden. Eine Tötungsabsicht seinerseits habe nie bestanden. In mancherlei Hinsicht wurde die Anklage jedoch durch eine Videoaufzeichnung bestätigt, auf der zweifelsfrei erkennbar war, dass der junge Mann von dem Angeklagten geschlagen und deutlich gegen dessen Willen zum und in das Fahrzeug gebracht wurde.
Für den Vater galt der 18-Jährig, der vor Gericht als Tatopferzeuge aussagte, sicher nicht als Wunschkandidat für seine Tochter. Wurde er doch aus dem Jugendgefängnis Laufen-Liebenau vorgeführt. Der junge Mann selbst bestätigte, dass es sich zwischen der Tochter und ihm um eine sogenannte “An/Aus“-Beziehung mit Unterbrechungen gehandelt habe. Dazu gestand er ein, dass seine Untreue immer wieder für Brüche in dieser Beziehung gesorgt habe. Darüber hinaus äußerte er überhaupt kein Interesse an einer Bestrafung des Vaters, auch wenn er die genannten Vorwürfe bestätigte.
„Freund“ schon mehrfach straffällig geworden
Die Tochter erklärte, ihre Beziehung zu dem 18-Jährigen habe in keinerlei Zusammenhang gestanden mit dem familiären Zerwürfnis, weswegen sie damals aus dem Haus gegangen war. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte in seinem Plädoyer, dass die Sorgen des Vaters um seine Tochter in mancherlei Hinsicht verständlich seien, wo doch dieser „Freund“ bereits mehrfach straffällig geworden war. Jedoch sei eine solche Selbstjustiz in keiner Weise hinnehmbar. Lediglich durch das Einschreiten Dritter sei Schlimmeres verhindert worden. Er beantragte eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Andreas Leicher, erklärte, dass der junge Mann fraglos freiwillig in den Wagen gestiegen sei, habe er doch im Gespräch mit einem Freund vorher erklärt, dass er nun mit dem Vater sprechen müsse, weil er „Scheiße gebaut habe“. Damit sei die angebliche Geiselnahme widerlegt. Die Bedrohung habe es wohl gegeben, sei aber nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Dafür und für die Körperverletzung würde eine Bestrafung von neun Monaten Haft durchaus ausreichen.
Muss der Angeklagte hinter Gitter?
Weil es zudem sicher keine Wiederholung eines solchen Vorfalls geben werde und der Angeklagte nicht vorbestraft sei, müsse die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richterin Isabella Hubert gab in der Sache dem Staatsanwalt recht. Jedoch kam man in der Bewertung zu einem anderen Ergebnis. Bei der Geiselnahme handle es sich demnach um einen „minder schweren Fall“, weil das Tatopfer sich durchaus erfolgreich hätte widersetzen können. Auch zeigte das Opfer kein Interesse an einer Bestrafung des Angeklagten. Die Reaktion des Vaters sei wohl verständlich, aber dennoch absolut unzulässig. Die Richterin: „Unter Hintanstellen etlicher Bedenken könne das Gericht eine Haftstrafe von zwei Jahren gerade noch zur Bewährung aussetzen.“